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Erinnerungen: Zeit-Reise nach Zollverein "Nächster
Halt Abzweig Katernberg. Umsteigemöglichkeit in Richtung Gelsenkirchen-Rotthausen."
Was der Straßenbahnfahrer der Linie 107 ankündigt, wirkt auf den Reisenden, der
das Weltkulturerbe Zollverein besuchen möchte, nicht besonders verheißungsvoll.
Rund um die Haltestelle eine Imbissstube, ein Zeitschriftenhandel, ein Kiosk.
Ansonsten einige Wohnhäuser, Straßen, Verkehr. Und hier soll sie sein, die
Weltkultur? Man ist versucht, die Umsteigemöglichkeit nach Rotthausen wahrzunehmen. Doch
halt: Der Abzweig Katernberg ist trotz seiner Gesichtslosigkeit nicht nur ein Abzweig
in eine andere Stadt, sondern auch in die Geschichte. Einige Schritte nur, und
man ist mittendrin in der Historie der Zeche und der Kokerei Zollverein und damit
im Zentrum des heutigen Weltkulturerbes. Drehen wir die Zeit um 150 Jahre
zurück. 1851 Der Anfang Noch
stehen wir auf freiem Feld. Im Westen erheben sich wie eine Festung die wuchtigen
Fördertürme der Zeche Zollverein. Man hat sie damals sicher sehen können; die
Halde, die heute den Blick versperrt, wird noch niedrig gewesen sein. Die
Bauweise der Zechentürme ist neuartig. Steinerne Bauwerke mit dicken Mauern
sind es, die die bis dahin gebräuchlichen Fördergerüste ablösen. Sie müssen
stabil sein, denn sie sollen den Zugkräften der immer tiefer in die Erde
reichenden Förderseile standhalten. Später wird man sie Malakowtürme nennen,
ihres festungsartigen Aussehens wegen. Sie erinnern die Menschen an das Fort
Malakow der im Krimkrieg heiß umkämpften Festung Sewastopol. Besitzer
der Zeche Zollverein war zu diesem Zeitpunkt die Ruhrorter Industriellenfamilie
Haniel. Franz Haniel, der Kaufmann und Industriepionier, gehörte zu den
Gründern einer Bohrgesellschaft, die 1845 im Katernberger Raum ein
vielversprechendes Kohleflöz fand. Dies und der geplante Bau der Köln-Mindener
Eisenbahn durch Katernberg bewogen Franz Haniel dazu, in dem kleinen Bauerndorf
eine Zeche abzuteufen. Er wollte Kohlen für seine Eisenhütten in Oberhausen
fördern. Im Laufe des Jahres 1847 gelang es Franz Haniel, alle Anteile an der
Mutung aufzukaufen. Zollverein ist ein Familienunternehmen. Noch
in demselben Jahr begannen die Abteufarbeiten von Schacht 1, die starke Wasserzuflüsse
jedoch immer wieder behinderten - ein häufig anzutreffendes Problem im Revier.
Man entschloss sich deshalb, einen zweiten Schacht niederzubringen, der ausschließlich
der Wasserhaltung dienen sollte. Das war zu jener Zeit ungewöhnlich.
Doppelschachtanlagen wurden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum üblichen
Erscheinungsbild einer Zeche gehören. Wahrscheinlich war Zollverein die erste
Doppelturmanlage der Region. 1851
war es endlich soweit: Die Förderung konnte aufgenommen werden. Der Grundstein
für die einmal größte Zeche Europas war gelegt. Ihr Name versprach bereits
Großes, denn der Namensgeber war der Deutsche Zollverein. 1834 in Kraft getreten,
schuf der Zollverein für einen Teil der deutschen Staaten ein einheitliches Zollgebiet.
Für die Wirtschaft bedeutete dies einen gewaltigen Aufschwung. Eine solche Hoffnung
hegte man für die neue Zeche sicher auch und tatsächlich erfüllten sich die
Erwartungen in den kommenden Jahren. War die Jahresförderung 1855 mit 91.650 t
noch recht gering, so schaffte man es, sie bis 1880 auf über 400.000 t jährlich
zu steigern. Wir
biegen vom Abzweig Katernberg in die Haldenstraße ein und gelangen zum alten
Haupteingang der Zeche an der Bullmannaue. Die grüne Wiese des Bauern Bullmann,
auf der Zollverein gebaut worden ist, lässt sich kaum mehr erahnen. Heute führt
dort eine Straße geradewegs auf das Werkstor zu, das einst die Zeche vom
Stadtteil, das Drinnen vom Draußen trennte. Im Schatten der großen Platanen
verweilen wir und schauen auf die drei Gebäude vor dem Werkstor. Sie
dokumentieren, wie die Zeche langsam in den Ort hinein wuchs: 1878 entstand
unmittelbar vor dem Tor das alte Verwaltungsgebäude, 20 Jahre später die
Direktorenvilla. Damals mussten die Direktoren noch "unter dem
Förderkorb" wohnen. 1906 schließlich wurde die neue Verwaltung gebaut. Am
Ende der Straße dann, jenseits des Werkstores, befindet sich die Zeche selbst.
Die wenigen Gebäude, die hier heute noch stehen, vermitteln den Eindruck von
unübersichtlicher Enge. Platz wurde nicht verschenkt, und Maschinenhallen baute
man dorthin, wo man sie brauchte, nicht dort, wo sie schön aussahen. Die
heutigen Bauwerke zeugen davon, dass der Betrieb auf Zollverein nicht statisch
war, sondern sich entwickelte und neuen Bedürfnissen Rechnung trug. Die alten
Malakowtürme sind deshalb längst verschwunden. An ihre Stelle baute man 1903
und 1923 stählerne Fördergerüste, die besser als die steinernen Türme in der
Lage waren, sich Bergsenkungen und Erschütterungen anzupassen. Aus jener Zeit
stammen auch das noch übrig gebliebene Fördermaschinenhaus, die Waschkaue und
die Werkstätten. Inzwischen
steht über den Schächten 1 und 2 bereits die dritte Generation an Fördertürmen.
1956-58 erneuerte und erweiterte man die Anlage. Der renommierte Industriearchitekt
Fritz Schupp baute das Fördergerüst über Schacht 1 sowie Schachthalle und
Wagenumlauf. 1964 stellte man für den Schacht 2 den ebenfalls von Fritz Schupp
entworfenen Förderturm der Bochumer Zeche Friedlicher Nachbar auf. 1903
ging auf dem Gelände ein weiterer Schacht in Betrieb, der Wetterschacht 8.
Wetter nennt man die Luft unter Tage. Mit dem in immer größere Tiefen
vorstoßenden Kohlenabbau wurde es zunehmend schwieriger, das Grubengebäude
ausreichend zu belüften. Dieses Problem wurde gelöst, indem man ein- und
ausziehende Wetter durch zwei verschiedene Schächte lenkte und unter Tage ein
ausgeklügeltes System von Wettertüren einführte, das Frischluft selbst in
entlegene Strecken schickte. 1903 war der Kohleabbau auf der Anlage Zollverein
1/2 bereits bis zu einer Teufe von 559 m vorgedrungen und hatte eine
Ausdehnung, die einen Wetterschacht erforderte. Selbst
heute kann es passieren, dass sich die Seilscheiben noch drehen. Obwohl die
Zeche Zollverein 1986 stillgelegt wurde, werden die Schächte 1 und 12 noch bergbaulich
genutzt: Die Zentrale Wasserhaltung pumpt hier regelmäßig das untertage
zulaufende Grubenwasser ab. Ließe man das Wasser nach der Schließung eines
Bergwerkes einfach laufen, so würde es in Abbaubereiche anderer Zechen
gelangen, in denen noch gearbeitet wird. Um das zu verhindern, hält man im
gesamten Ruhrgebiet einige günstig gelegene Schächte auch nach der Stilllegung
offen und fördert heute dort Wasser statt Kohle. Wir
folgen der Werksstraße, die nach wenigen Metern Eisenbahnschienen kreuzt. Eisenbahnlinien
waren die Lebensadern der Industrie im Revier, denn die auf den Zechen
geförderten Kohlen wurden per Bahn zu den Eisenhütten und Kraftwerken gebracht.
Das Zollverein-Netz war weit verzweigt. Es verband die verschiedenen
Schachtanlagen untereinander und mit der Köln-Mindener Eisenbahn. Auf
zahlreichen der ehemaligen Zechenbahntrassen sind heute Wege angelegt, so dass
man den alten Verkehrsverbindungen noch immer nachspüren kann. Auch der
ehemalige Bahndamm zwischen den Zollverein-Anlagen 1/2/8 und 3/7/10 - der
sogenannte Zollvereinweg - lädt heute zum Radeln oder Spazierengehen ein. Im
Schatten hoher Bäume geht die Zeitreise weiter, dem Weg der Zechenbahn nach. Es
ist grün hier, denn die Gärten der nahen Häuser reichen bis an den Bahndamm
heran. Die Gegend ist dicht besiedelt: Zollverein zog Menschen an. 1859. Strukturwandel im 19. Jahrhundert Noch
gab es keinen Bahndamm und auch keine Gärten, nur Weiden und Ackerland. Aber
schon machten sich Veränderungen in den Strukturen des Dörfchens Katernberg
bemerkbar. Seit zwölf Jahren gab es die Zeche, und die brauchte Arbeiter, so
viele Arbeiter, dass die Bevölkerung der umliegenden Ortschaften den Bedarf
nicht decken konnte. Es kamen also Fremde von weit her, meist aus dem Osten, um
hier Geld zu verdienen. Die Einwohnerzahl in Katernberg stieg innerhalb weniger
Jahre stark an. 1815 lebten knapp 400 Menschen in dem Ort, 1868 waren es schon
1755. Die Neuankömmlinge brauchten Wohnungen, denn sie sollten ja bleiben. Wohnungen
zu bauen gehörte zu den Aufgaben des Bergwerksbesitzers. 1859 begann die
Familie Haniel, den Bauern in Katernberg Land abzukaufen, um darauf Häuser zu
errichten. Die ersten Wohnungen entstanden an der Viktoriastraße. In kurzen
Abständen wurden weitere Siedlungen - Kolonien genannt - bezugsfertig: 1870 am
Bolsterbaum, 1873 am Joseph-Oertgen-Weg, 1883 Schlägel- und Eisenstraße. Bis
zum Beginn des Ersten Weltkrieges bauten die Haniels über 1500 Wohnungen für
ihre Arbeiter. Sie sorgten nicht allein aus sozialer Verantwortung für
Wohnraum. Da der Mietvertrag an den Arbeitsvertrag gebunden war, hatten sie
damit auch ein Druckmittel in der Hand, um einen häufigen Arbeitsplatzwechsel
und Aufmüpfigkeiten zu unterbinden. Verlor ein Bergmann seine Arbeit, so hatte
er auch keine Wohnung mehr. Vom
Zollvereinweg, dem ehemaligen Bahndamm, kann man in die Eisenstraße schauen, einem
Teil der sogenannten Kolonie III. Die Eisenstraße ist eine der wenigen
Zechensiedlungen, die ihren ursprünglichen Charakter bewahrt hat. Vergisst man
die Autos am Straßenrand, so fühlt man sich tatsächlich in eine Kolonie um 1900
versetzt. In
jedem Haus der Kolonie waren vier Wohnungen untergebracht. Zu jeder Wohnung
gehörten ein Stall und ein großer Garten. Viehhaltung wie z.B. Hühner, ein
Schwein oder die "Bergmannskuh", die Ziege, sowie Gemüseanbau waren
lebenswichtig für die Bergmannsfamilien bis in die 1950er Jahre hinein. Der
karge Lohn eines Bergmannes reichte nicht aus, die oft sehr großen Familien zu
ernähren. Daher waren die meisten Familien Selbstversorger und bauten in ihren
Gärten vieles, was sie aßen, an. Kolonien
wurden immer in der Nähe der Zeche gebaut, denn die Arbeiter mussten ihren
Arbeitsplatz zu Fuß erreichen können. Die Eisenstraße lag nicht nur günstig zu
Schacht 1/2, sondern auch nicht weit entfernt von einer neuen Zollvereinanlage:
Schacht 3 ging 1882, also kurz vor dem Bau der neuen Siedlung in Betrieb.
Zeitgleich baute man die erste werkseigene Eisenbahnstrecke zwischen der
Schachtanlage 1/2 und dem neuen Schacht 3. Geht
man vom Zollvereinweg die Eisenstraße rund 200 m hinunter, so öffnet sich auf
der rechten Seite ein schmaler Heckenweg. Hier folgen wir dem alten Arbeitsweg
der Bergleute zum Schacht. Nur fünf Minuten, schon ist man am Tor der Anlage
3/7/10. Ihr einziges noch verbliebenes Fördergerüst ist weithin zu sehen, und
es fällt nicht schwer, sich in die Zeit hineinzuversetzen, als die Seilscheiben
sich noch unentwegt drehten... 1880. Zollverein wächst Zollverein
wuchs. Über Tage war zunächst nichts zu sehen, aber unterirdisch gruben die
Bergleute immer längere Stollen in den Berg hinein. Über 400.000 t Kohle wurden
inzwischen pro Jahr gefördert. Noch konnte man alles über die bestehenden
Schächte 1 und 2 nach oben bringen, aber mit fortschreitendem Abbau wurden die
Wege zu lang. Auch wurde es immer schwieriger, das Grubengebäude mit Frischluft
zu versorgen. Und schließlich stieg seit dem Ende der großen Wirtschaftskrise
1877 die Kohlennachfrage wieder. Diese Gründe veranlassten die
Bergwerksdirektion, im nahegelegenen Schonnebeck eine zweite Anlage zu
errichten. Über den neuen Schacht 3, der 1880 abgeteuft wurde, sollten die
Kohlenvorräte im Südosten des Zollvereiner Grubenfeldes erschlossen werden. Mit
dem Abteufen des Schachtes 3 begann eine Ausbauphase der Zeche Zollverein, die
bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges dauerte. In kurzer Folge brachte man weitere
Schächte nieder, die fortlaufend nummeriert wurden. Als 1897 der zweite Schacht
in Schonnebeck begonnen wurde, erhielt er bereits die Nummer 7. Er sollte als
Wetterschacht dienen. Immer
tiefer in die Erde hinein ging es in den folgenden Jahren. 1903 erreichte Schacht
3 die 8. Sohle mit 377 m, sechs Jahre später setzte man bereits die 12. Sohle
an: Bis in eine Teufe von 659 m hatten sich die Bergleute vorgearbeitet. Weit
über 5000 Menschen waren inzwischen auf Zollverein beschäftigt. Die
Nachfrage nach dem "schwarzen Gold" stieg unaufhörlich. 1,85
Millionen Tonnen Kohle wurden 1910 zutage gebracht. Damit war Zollverein eine
der größten Zechen des Ruhrgebiets. Die Kapazitäten der vorhandenen Schächte
reichten längst nicht mehr aus, so dass man ein Jahr später einen weiteren
Schacht in Schonnebeck abteufte. Nummer 10 sollte als Hauptförderschacht
ausgebaut werden. Also mussten auch die Aufbereitungsanlagen eingerichtet
werden. Der Bau der Kohlenwäsche sowie einer Kokerei bis 1913 machten 3/7/10
neben 1/2/8 zu einer vollständigen, unabhängigen Schachtanlage der Zeche
Zollverein. Was
bedeutete es eigentlich, zu Beginn des 20. Jahrhunderts Bergmann zu sein? Wir
können uns kaum eine Vorstellung davon machen, was es heute, mit all dem technischen
Fortschritt, den Arbeitsschutzvorschriften und der sozialen Absicherung heißt,
unter Tage zu arbeiten. Aber damals? Schwerstarbeit:
Die Kohle wurde per Hand mit der Keilhaue abgebaut. Von Hand musste sie in
Wagen oder Förderrinnen geschaufelt werden. Die Maschinen, die es schon gab,
wurden für die Förderung der Kohle eingesetzt, nicht für den Abbau. Druck:
Die Leistung der Bergleute wurde nach den mit Kohle gefüllten Wagen bemessen,
die ans Tageslicht gelangten. Das ging auf Kosten der Sicherheit: Wer mochte
schon kostbare Zeit auf den Ausbau verwenden, wenn man Kohle machen konnte? Abhängigkeit:
Gefürchtet war das "Wagennullen". Wenn der Steiger meinte, der Wagen
sei nicht voll oder es sei zu viel Gestein darin, so schrieb er mit Kreide eine
Null daran, und der Wagen wurde nicht gezählt. Die
Arbeitsbedingungen unter Tage waren hart. 1922 beschrieb ein Werksstudent, wie
er das erste Mal vor Kohle arbeiten musste: "Nun konnte ich meinen Arbeitsplatz genau in Augenschein nehmen. Die Decke lag so tief, dass ich nicht mal im Hocken, sondern nur im Liegen arbeiten konnte. (...) Ich legte mich auf den Rücken und beklopfte abwechselnd mit der Spitzhacke, Keil und Fäustel die Kohlewand (...). Bei jedem Hieb staubte eine Kohlenwolke nach allen Seiten, kleine Stücke fielen auf mein Gesicht und den nackten Oberkörper. Staub drang in Nase, Mund und Augen, vollkommene Nacht umgab mich, da die Lampe den Dunst nicht zu durchdringen vermochte. (...) Gewaltig strengte diese Arbeit an, die dampfende, unerträgliche Hitze legte sich schwer auf den Körper, die dunstige, von erstickenden Kohlengasen durchschwängerte Luft drang in die Lungen; in den nackten Rücken, der fest am Boden lag, stachen kleine Steine und Kohlensplitter. Nach
einigen starken Hieben merkte ich, wie ein leises, ständiges Rieseln von Kohlenstaub
einsetzte, immer stärker und stärker anschwellend - "Es kommt!", fuhr
es mir durch den Kopf, mit einem Satz sprang ich auf die andere Seite über die
Rinne... in derselben Sekunde brach mit dumpfem Donnern und Bersten eine große
Kohlenmasse nieder, genau auf die Stelle, wo ich eben gelegen hatte, und
wirbelte eine schwarze Dunstschwade durch den Raum. Ich glaubte zu ersticken,
atmete krampfhaft ein und fühlte den körnigen Staub in Mund und Kehle
eindringen."[1] Wieviel
Mühsal hinter der schlichten Aussage steht, 1910 seien 1,85 Millionen Tonnen
Kohle gefördert worden. Wir
betreten das Gelände der Anlage 3/7/10 durch das ehemalige Werkstor zwischen
Pförtnerhaus und Fahrradhalle an der Dornbuschhegge. Dahinter steht allerdings
nur noch ein Bruchteil dessen, was einmal zur Schachtanlage gehörte. Nachdem
die Förderung auf 3/7/10 1932 eingestellt wurde, riss man weite Teile der
Anlage ab. Erhalten blieben lediglich die Gebäude, die man für die
Aufrechterhaltung eines Restbetriebes benötigte. Bis 1986 wurde Schacht 10
nämlich für die Personenseilfahrt genutzt, d.h. für die Beförderung der
Bergleute in die Grube. Sein Fördergerüst, das heute ohne Schachthalle verloren
wirkt, ist das älteste erhaltene Zollverein-Gerüst. Es stammt aus dem Jahre
1913 und ist noch das Originalgerüst. Ein ständige Erneuerung der Fördertürme
wie auf der Anlage 1/2/8 hat es hier nicht gegeben. Aus
derselben Zeit wie das Fördergerüst stammen das Elektroschalthaus und das Fördermaschinenhaus.
Während ersteres innen inzwischen stark verändert wurde - heute befindet sich
dort ein Kindergarten - kann man im Fördermaschinenhaus die alte Innenausstattung
besichtigen. Die elektrische Fördermaschine ist ein stiller Zeuge vom
Fortschritt einer zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch jungen Technik, der
Elektrizität im Bergbau. 1904 wurde erstmals eine elektrische Fördermaschine im
Ruhrgebiet eingesetzt. Die neue Antriebstechnik löste in der Folgezeit die
Dampfmaschinen nur langsam ab. Rund
um die Fördermaschine lädt ein kleines Café dazu ein, nicht nur die technischen
Einrichtungen in Ruhe zu studieren, sondern auch die sorgfältige
Innengestaltung des Industriegebäudes, die mit viel Liebe zum Detail ausgeführt
wurde. Wand- und Bodenfliesen sind im Originalzustand erhalten und vermitteln
einen Eindruck vergangener Bergbauherrlichkeit. Auch
wenn die Anlage 3/7/10 inzwischen stark geschrumpft ist, kann man die Größe des
Geländes noch ermessen. Auf dem ehemaligen Zechengelände, das sich fast über
die gesamte Fläche zwischen Dornbuschhegge, Karl-Meyer-Straße, Ückendorfer Straße
und Grundstraße erstreckte, befinden sich heute Handwerksbetriebe, mehrere
Wohnhäuser und ein Park. 1892. Zollverein "macht"
Katernberg Auf
Schritt und Tritt begegnen wir Zollverein während unserer Wanderung von Schacht
3/7/10 nach 4/5/11. Wir verlassen die Anlage an der Dornbuschhegge durch das
Haupttor und wenden uns nach rechts, in die Karl-Meyer-Straße. Eine breite
Straße ist es, gesäumt von Häusern mit Vorgärten, die in den 1920er und 1950er
Jahren für die Angestellten der Zeche gebaut wurden. Folgt
man ihrem Verlauf und biegt in den Neuhof ein, so gelangt man in eine andere
Welt. Eine sanft geschwungene, leicht abschüssige Straße mit niedrigen Häusern
rund um eine Kirche angeordnet - der Gedanke an ein Dörfchen drängt sich auf.
In der Tat steht man in einem der drei Zollvereiner Pestalozzi-Dörfer, die in
den 1950er Jahren gebaut wurden. Sie waren den Jüngsten im Bergbau vorbehalten,
den Berglehrlingen. Jeweils sechs Jungen wohnten hier bei Pflegeeltern. Sie
kamen aus allen Regionen Deutschlands, angelockt von den Werbern der Zeche. Wir
gehen auf den Spuren des alten, vorindustriellen Katernberg weiter. Straßennamen
wie Middeldorper Weg oder Ottenkämper Weg erinnern noch an die alten Höfe, auf
deren Äckern und Weiden das neue Katernberg gebaut wurde. Dann erreichen wir
den Katernberger Markt und befinden uns plötzlich wieder mitten in der Zeit, in
der Zollverein Katernberg "machte". Der Markt: ein großer Platz mit
einem Brunnen, an der Schmalseite die Polizeiwache, gegenüber die Post, an der
dritten Seite die Kirche. Als
es Zollverein noch nicht gab, war Katernberg kaum mehr als eine Ansammlung von
Höfen, die zur Landgemeinde Stoppenberg gehörten. Für alle
"wichtigen" Dinge, zum Amt oder zur Kirche, gingen die Menschen nach
Stoppenberg, zur Post sogar nach Altenessen. Mit der Zeche kamen Menschen nach
Katernberg; die kleine Bauerschaft wuchs explosionsartig. Durch Wohnungen
allein aber ließen sich die Bedürfnisse der Menschen nicht befriedigen. Sie
brauchten Schulen, Kirchen, Geschäfte, einen Bahnhof, Post und Verwaltung... 1887
wurde an der Köln-Mindener Eisenbahnstrecke ein Personenbahnhof eingerichtet,
der nicht etwa Katernberg hieß, sondern den Namen Zollverein erhielt. Die Zeche
verlieh dem Ort schließlich seine Bedeutung. Zwischen diesem Bahnhof, der Zeche
und den Siedlungen entwickelte sich ein Zentrum samt Marktplatz in Katernberg. 1892
baute die Landgemeinde ein Amtshaus für das Standesamt, das Gericht und die
Polizeiwache und legte damit den Grundstein für ein kleines Zentrum. 1900 wurde
die Post in einem Gebäude eingerichtet, das auf einem Zechengrundstück stand
und von der Zeche bezahlt worden war. Auch der Markt selber war auf dem Grund
der Zeche angelegt. Im selben Jahr wurde mit dem Bau der evangelischen Kirche
am Markt begonnen. Auch diese wurde von Zollverein finanziert - übrigens schon
zum zweiten Mal. Die erste evangelische Kirche im überwiegend katholischen
Katernberg ließ die Familie Haniel bereits 1877 für die aus dem östlichen
Preußen stammenden Arbeiter bauen. Ein Kaiser-Wilhelm-Denkmal verlieh dem Platz
eine repräsentative Note. An der Stelle des Denkmals befindet sich heute ein
Brunnen. Die Gebäude haben jedoch bis heute ihre ursprüngliche Bestimmung
bewahrt. Auch
der Neubau der katholischen Kirche wurde von den Haniels mitfinanziert. Aus
heutiger Sicht mag ein solches Gebaren ein wenig seltsam anmuten. Der
Arbeitgeber sorgt sich um das Seelenheil seiner Arbeiter? Doch letzten Endes
trug die Präsenz der Kirchen zu einer gewissen Disziplinierung der Arbeiter und
ihrer Familien bei, und das konnte nur im Sinne der Zechenbesitzer sein. Die
Reise vom Katernberger Marktplatz, ehemals Kaiser-Wilhelm-Platz, führt weiter
durch die Kaiserzeit. Die Katernberger Straße, durch deren enge Kurven sich
heute aufgeregt Autos und Straßenbahnen schieben, ist von Wohn- und
Geschäftshäusern der Jahrhundertwende gesäumt. Lässt man den Blick nach oben
wandern, über die Schaufenster der Supermärkte und kleinen Geschäfte, dann
vermitteln die individuellen Fassaden noch den Stolz der Bürger und Kaufleute
des aufstrebenden Ortes. Und
am Ende der Straße treffen wir wieder auf die Zeche Zollverein. 1893 Abrupt
hört die Bebauung der Katernberger Straße auf, und wir stehen an einer großen
Kreuzung. Links eine Tankstelle, rechts die Straßenbahnhaltestelle, auf der
gegenüberliegenden Seite die Arbeitersiedlung und, hinter Bäumen, der Eingang
zur Schachtanlage 4/5/11. Wir halten inne und schauen zurück. 1891:
Wie immer ist der Blick noch recht frei, das Land unbebaut. Doch so ganz unberührt
ist die Landschaft nicht mehr. Die ersten Siedlungen sind gebaut. Zollverein
gehörte inzwischen schon zu den älteren Bergwerken nördlich der Ruhr. Die Krise
der Gründerzeit, jener Phase fiebrigen Aufbruchs, hatte die Zeche überstanden.
Nun ging es wirtschaftlich wieder bergauf. Seit gut einem Jahr machte sich ein
alle Branchen umfassender Konjunkturaufschwung bemerkbar. 1890 überschritt die
Förderung auf Zollverein erstmals eine Million Tonnen. Für die nächsten zehn
Jahre erreichte die Zeche die höchste Förderleistung im Ruhrgebiet. Die
Zeit war reif für eine neue Schachtanlage. 1891 begann man, im nordöstlichen
Grubenfeld einen neuen Schacht, Schacht 4, abzuteufen. Dort bestand eine geologische
Besonderheit: die Kohlenflöze waren steil gelagert, das heißt, sie lagen nicht
waagerecht, sondern fielen schräg ein. Das erschwerte den Abbau erheblich. 1893
konnte die Förderung auf dem neuen Standort aufgenommen werden. Der nächste
Schacht, Schacht 5, wurde bereits niedergebracht. Die neue Anlage wurde mit
allen Aufbereitungsanlagen ausgestattet und konnte unabhängig betrieben werden.
1895 nahm man eine Kokerei in Betrieb. Natürlich baute man auch wieder eine Arbeitersiedlung:
die Häuser auf der im vorderen Bereich der Schalker Straße gehören zu
Zollverein. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde modernisiert: man teufte einen
neuen Schacht mit der Nummer 11 ab und erneuerte die Tagesanlagen, um die
Leistungsfähigkeit zu steigern. Jedoch währte die neue Blüte nur kurz. Mit der
Inbetriebnahme des Zentralförderschachtes 12 im Jahre 1932 stellte man die
Förderung auf 4/5/11 ein. Heute
vermutet man kaum, dass es sich bei den übrig gebliebenen Gebäuden um die Reste
einer Schachtanlage handelt. Industrie ja, aber Zeche? Schließlich fehlt das
Haupterkennungsmerkmal, die Fördergerüste! Erhalten geblieben sind nur wenige
Gebäude, die die beiden Ausbauphasen der Anlage dokumentieren. Im hinteren Teil
des Geländes befinden sich ältere Bauten aus der Zeit um 1900. Das Verwaltungs-
und Magazingebäude am Eingang gehört zu den Erweiterungen der 1920er Jahre.
Dort hat heute das Gründerzentrum Triple Z, das ZukunftsZentrum Zollverein,
seinen Sitz. Wer hätte bei Stilllegung des Bergwerks Zollverein gedacht, dass
die Zukunft einmal ihren Sitz in Katernberg nimmt? 1920 Gewundene
Straßen, kleine Plätze, individuelle Häuser. Immer noch Katernberg? Was sich
uns östlich der Viktoriastraße erschließt, scheint gar nicht so recht in das
weitverbreitete Bild von langgestreckten Koloniestraßen mit rauchgeschwärzten,
einheitlichen Häusern zu passen. Wer sich in das Straßengewirr zwischen
Distelbeckhof und Hegehof verirrt, dem öffnet sich eine kleine Oase jenseits
von Industrie und Alltagshektik. Wir
stehen mitten in den 1920er Jahren. Der Erste Weltkrieg ist vorbei, die
Republik ausgerufen. Das Leben hat sich verändert. Auch Zollverein hat
tiefgreifende Änderungen hinnehmen müssen. Seit 1920 werden die Geschäfte der
Zeche nicht mehr von der Familien Haniel geführt. Die
Bergbaukrisen des 19. Jahrhunderts zeigten, dass Großbetriebe kostengünstiger
arbeiten und weniger anfällig für die Schwankungen des Marktes sind. Wer sich
auf dem Markt behaupten wollte, versuchte entweder, seinen Zechenbesitz zu
erweitern oder sein Geschäft in andere Industriezweige auszuweiten. Hierzu bot
sich vor allem die Stahlindustrie an, da deren Energiegrundlage schließlich
Kohle ist. Die
Haniels entschieden sich relativ spät dafür, eine solche Interessengemeinschaft
einzugehen. Derartige Rationalisierungsbestrebungen gab es verstärkt spätestens
seit der Gründerkrise. Doch nach dem Ersten Weltkrieg bedurften die
Zollvereinbetriebe einer grundlegenden Erneuerung. Durch die Kriegsjahre waren
sie stark beansprucht, aber nicht in dem eigentlich nötigen Maße
instandgehalten worden. Außerdem gab es in der jungen Republik Bestrebungen,
die Bergwerke zu verstaatlichen. Durch die Verbindung mit einem Hüttenwerk
hofften die Haniels, der Sozialisierung zu entgehen. Ein geeigneter Partner war
die Phönix AG für Bergbau- und Hüttenbetrieb, die Zollverein 1920 übernahm. Die
Haniels gaben zwar die Geschäftsführung ab, behielten aber ihre Anteile an der
Zeche. 1926
wurde Zollverein in die neugegründeten Vereinigte Stahlwerke AG eingebracht,
einem Zusammenschluss von Unternehmen der Stahlindustrie, und damit Teil des
größten Montankonzerns Europas. Auch
im Wohnungsbau vollzogen sich in den 1920er Jahren grundlegende Änderungen. Es
entstanden Wohnungsbaugesellschaften, die fortan die Zechenhäuser verwalten und
bauen. Besonders nach dem Ersten Weltkrieg waren Wohnungen Mangelware, nicht
nur, weil während des Krieges kaum gebaut wurde, sondern auch, weil die Zechen
ihre Belegschaften vergrößerten und daher mehr Menschen nach Katernberg kamen. In
dieser Zeit wurden die Siedlungen westlich der Viktoriastraße gebaut. Erstmals
wurden hier fortschrittliche Konzepte im Zollvereiner Wohnungsbau verwirklicht.
Die neuen Häuser standen an kleinen Plätzen und geschwungenen Straßen, die man
durch Tore erreichen konnte. Die Gleichförmigkeit der älteren Zechensiedlungen
gab es hier nicht mehr, da die Hausformen individuell gestaltet wurden. Maximal
zwei Familien wohnten nun unter einem Dach zusammen. Obwohl Ziegelsteine nach
wie vor das Bild beherrschten, wurde auch mit neuen Baumaterialien
experimentiert: In Katernberg stehen in der Dirschaustraße mehrere Stahlhäuser,
die als kostengünstig galten. Die vorgefertigten Stahlteile konnten in kurzer
Zeit montiert werden. Trotz aller Neuerungen bleiben aber einige Dinge doch
Standard im Arbeiterwohnungsbau: der Stall und der große Garten, mit dem die
Bergmannsfamilien sich versorgten. In
diesem "romantischen" Teil Katernbergs stoßen wir auf eine weitere
Neuerung der 1920er Jahre: die Werksfürsorge. Bis 1928 wurde die
Arbeiterfürsorge allein von der Kommune und den Kirchengemeinden wahrgenommen,
dann übernahm die Zeche diese Aufgabe. Über die reine Gesundheitsvorsorge
hinaus bot sie Kinderbetreuung, Schneider- und Sportkurse, eine Werksbücherei
an und wirkte dadurch in die Freizeit der Arbeiter und ihrer Familien hinein. 1938
zog die Werksfürsorge in den umgebauten Hegehof an der heutigen Viktoriastraße
ein. Hegehof - wieder erinnert ein überkommener Name an die vorindustrielle
Vergangenheit Katernbergs. Er lässt sich auf das adlige Gut "ther
Heghe" zurückführen, auf dessen ehemaligen Ländereien sich heute ein Teil
der Zollvereiner Bergmannssiedlungen befindet. Das Gebäude selbst, ein
zweigeschossiges Haus mit zwei Seitenflügeln, in einem kleinen Park gelegen,
sieht wie ein alter Gutshof aus. Zwar stammt das Gebäude aus den 1930er Jahren,
doch trug das Architekturbüro Fritz Schupp, das den Bau plante, der
Vergangenheit des Hegehofes Rechnung. Obwohl
die Werksfürsorge in den 1960er Jahren geschlossen wurde, ist doch die ursprüngliche
Bestimmung des Hegehofes als Ort der Gesundheit und Wohlfahrt gewahrt
geblieben. Heute befinden sich dort Arztpraxen und Anwaltskanzleien sowie das
Jugendamt der Stadt Essen. 1929 Wir
machen einen räumlichen Sprung und stehen in Stoppenberg, an der Straßenecke
Hallostraße / Im Natt am südwestlichen Rand des Zollvereiner Grubenfeldes. Hier
wurde 1895 und 1905 mit den Schächten 6 und 9 die vierte Zollverein-Anlage abgeteuft.
Sie ist die erste, die 1929 zugunsten des zukünftigen Zentralförderschachtes 12
die Kohlenförderung einstellen muss. Die
Stoppenberger "Außenstelle" der Zeche Zollverein ist die einzige der
Anlagen, die nach ihrer kompletten Stilllegung 1979 vollständig abgerissen
wurde. Einzig die Mauer entlang der Hallostraße ist ein Rest der Einfriedung
des Zechengeländes. Erhalten blieb nur die Siedlung Stiftsdamenwald auf der
gegenüberliegenden Straßenseite, die 1907 für die Anlage errichtet wurde. Auf
dem ehemaligen Schachtgelände werden seit 1999 Wohnhäuser gebaut: Wohnen unter
dem Förderkorb, 20 Jahre nach der endgültigen Stilllegung! Die
restlose Beseitigung von Schacht 6/9 ist ein typisches Beispiel für den lange
Zeit üblichen Umgang mit stillgelegten Industrieanlagen im Ruhrgebiet. Das
Bundesberggesetz verpflichtet den Eigentümer nämlich dazu, ehemalige
Bergbaustandorte soweit zu sanieren, dass eine Wiedernutzung möglich wird.
Diesem juristischen Grund ist lange Zeit nichts entgegengesetzt worden, denn
Schwerindustrie wird nicht als schön im landläufigen Sinne empfunden. Sie
brachte der Region neben Ruhm vor allem Verachtung ein. Von ihren
Hinterlassenschaften trennte man sich oft nur allzu leicht, um die
freigewordenen Flächen neu zu nutzen. Niemand wird den Städten das Recht auf
Entwicklung absprechen wollen, jedoch ist es zu begrüßen, dass das Gespür für
den Wert des industriellen Erbes sensibler geworden ist. Mit
dem Abteufen des Schachtes 6 hatte Zollverein seine Anlagen nun über die gesamte
Ausdehnung des Grubenfeldes von 13,2 km2 verteilt. Unter den Orten
Katernberg, Schonnebeck und Stoppenberg befindet sich ein weit verzweigtes
Streckennetz. Die durch den Kohleabbau entstandenen Hohlräume füllte man nicht
wieder auf, sondern ließ sie einstürzen. Diese Veränderung untertage setzte
sich bis zur Oberfläche fort. Bergsenkungen verwandelten die eigentlich ebene
Emscherregion im nördlichen Ruhrgebiet in eine Hügellandschaft. Die daraus
entstandenen Schäden sind gravierend, weil sich das Land nicht gleichmäßig
absenkt. Die neuen Mulden lassen ganze Straßenzüge schräg stehen. Manche Häuser
werden so stark beschädigt, dass sie unbewohnbar werden. Weitaus
gravierender als die Entstehung neuer Hügel ist aber, dass das Land aufgrund
der Bergsenkungen heute niedriger als die Vorfluter liegt, dass also Wasser
nicht abfließen kann. Bis ins 20. Jahrhundert hinein überschwemmten die Emscher
und ihre Nebenflüsse und –bäche deswegen die Landschaft und verwandelten Wiesen
in Sumpfgebiete. Da die Emscher bereits damals ein hochgradig von den Abwässern
der Industrie und der Privathaushalte verschmutzter Fluss war, waren diese
Überschwemmungen eine große Gesundheitsgefahr. Die immer wieder ausbrechenden
Seuchen konnte man erst verhindern, nachdem man das Bett der Emscher regulierte
und Pumpwerke einbaute. 1932. Zauberwort Zentralisierung Als
1932 der neue Förderschacht 12 in Betrieb ging, war das der Schritt in ein
neues Zeitalter. Zentralisierung hieß das Zauberwort, das den Bergbau rentabler
gestalten sollte. Anstatt auf mehreren Anlagen zu fördern und
Aufbereitungsanlagen instand zu halten, sollte die gesamte abgebaute Kohle
unterirdisch zu einem zentralen Förderschacht transportiert und dort zutage
gebracht werden. Auf den bereits bestehenden Anlagen stellte man die Förderung
ein; sie dienten nur noch der Personen- und Materialfahrt, Wetterführung und
Wasserhaltung. Alle überflüssigen Anlagenteile wuerden abgerissen oder sich
selbst überlassen. Den mit dem Bau der neuen Anlage verbundenen
Teilstilllegungen fehlt allerdings noch der ungute Beigeschmack von Ende, noch
verhießen die Schließungen eine neue Ära. Von
Anfang an war Schacht 12 eine Zeche der Superlative. 12000 t Kohle kann sie
täglich fördern. Das war viermal so viel wie die Leistung einer
durchschnittlichen Zeche. Die Technik war auf dem neuesten Stand: Die Trennung
der Kohle von taubem Gestein zum Beispiel erfolgte hier im Gegensatz zu früher
weitestgehend automatisch. 500 Arbeitsplätze sollten so gestrichen werden
können. Als
die Förderung 1932 aufgenommen wurde, war Zollverein sofort an der Spitze der
Ruhrzechen. 2,03 Mio. t Kohle wurden dort gefördert, und das, obwohl auch im
Bergbau, die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise zu spüren waren: die
Förderleistung sank, die Arbeitslosigkeit stieg. Die durch den Bau von Schacht
12 eingesparten Arbeitsplätze entließen die betroffenen Bergleute in eine
verzweifelte Situation. Sie werden die Rationalisierung der Betriebsabläufe
nicht als Vorteil begriffen haben. Bis
1938 blieb Zollverein die Zeche mit den höchsten Förderzahlen im Ruhrgebiet.
Wie alle Unternehmen der Ruhrindustrie profitierte sie von der
Wirtschaftspolitik des Dritten Reiches, die auf Aufrüstung und Autarkie
ausgerichtet war. Die
Rationalisierung der Produktion spiegelte sich auch in den Tagesanlagen wider.
Sie wurden im Stahlskelettbau errichtet. Diese Bauweise war schnell und billig
und ganz auf die Bedürfnisse des Betriebes abgestimmt. Da die tragenden
Elemente Stahlportale im Inneren der Gebäude sind und die Fassaden lediglich
als Wetterschutz dienten, konnten Erweiterungen und Umbauten problemlos
durchgeführt werden. Für
den Bau von Schacht 12 „leisteten“ sich die Vereinigten Stahlwerke bekannte Namen:
Fritz Schupp und Martin Kremmer waren die noch jungen, aber schon renommierten
Architekten, die den großen Auftrag erhielten. Sie haben bereits für die in den
Vereinigten Stahlwerken aufgegangene Phönix AG Zechen gebaut. Schupp und
Kremmer schufen mit Schacht 12 eine Anlage, die von den Zeitgenossen als die
„schönste Zeche des Ruhrbezirks“[2]
gepriesen wird. Obwohl
die Lage und Anordnung der Gebäude natürlich in erster Linie von den Betriebsabläufen
abhing, gelang es Schupp und Kremmer, die Zeche als einheitliches
architektonisches Konzept zu realisieren, ganz im Stil der sachlichen
Architektur der 1920er Jahre. Die Gebäude haben klare, kubische Formen und
durch das Stahlfachwerk streng gegliederte Fassaden. Fast wirken sie wie
Bauklötze, die aneinandergesetzt und gestapelt wurden. Sie bilden Fluchten und
lenken den Blick des Betrachters zum höchsten Punkt. Die Gestaltung und
Konzeption der einzelnen Betriebsteile waren so gut durchdacht, dass, obwohl es
ja ohne weiteres möglich gewesen wäre, während der gesamten Betriebszeit keine
größeren Änderungen oder Umbauten durchgeführt werden mussten. Die
Verpflichtung von Architekten war nicht unbedingt üblich bei den Montanunternehmen
des Ruhrgebiets. Die Zechen hatten eigene Bauabteilungen, deren Mitarbeiter die
Betriebe planten und bauten. Ihre Namen sind heute oft vergessen oder können
nur anhand ihrer Unterschriften auf den überlieferten Baupläne rekonstruiert
werden. Für Zollverein bauten zum Beispiel die Zechenbaumeister Stolze und
Fuller, deren Gebäude heute noch auf den Anlagen 1/2/8 und 3/7/10 zu sehen
sind. In
ihrer Nachfolge, allerdings nicht in ihrer Tradition standen Fritz Schupp und
Martin Kremmer. Die beiden Architekten gehörten einer neuen Generation von
Industriebauarchitekten an, die sich von der üblichen Bauweise des 19. und
beginnenden 20. Jahrhunderts weg entwickeln. Sie realisierten ein neues
Konzept, in dem die Gestaltung der Funktionalität der Betriebsanlagen Rechnung
trägt. Wenn
wir heute das Zechengelände betreten, dann fällt noch etwas auf, selbst wenn
man gar nichts über Architektur und Betriebsabläufe einer Zeche weiß: Hier
sollte Eindruck gemacht werden. Die identischen Torhäuser, die zu beiden Seiten
des Eingangs angeordnet sind, die Rasenfläche auf dem Vorplatz, der hier
übrigens Ehrenhof heißt, das riesige Fördergerüst, zu dem man aufschauen muss,
will man es in seiner ganzen Größe erfassen – das ist Demonstration von Macht.
Mit dem Prestigeobjekt Schacht 12 stellten die Eigentümer, die Vereinigten
Stahlwerke, sich nach außen dar. Hier zeigten sie: Wir sind ein modernes und
leistungsfähiges Unternehmen. Wesentlich
ist dabei, dass der Blick auf die Zeche auch Außenstehenden gewährt wird.
Bergwerke mussten von einer Mauer umgeben sein, die das Betriebsgelände klar abgrenzte
und das Eindringen Unbefugter verhinderte. Das ist natürlich auch auf Schacht
12 der Fall. Das gesamte Gelände ist mit einer mannshohen Mauer umschlossen,
die den Blick auf den größeren Teil der Gebäude verwehrt. Sie waren nur den
Menschen zugänglich, die auf Schacht 12 im Tagesbetrieb arbeiteten. Nicht
einmal die Bergleute bekamen die monumentale Architektur zu Gesicht, denn sie
fuhren nach wie vor auf den alten Schächten ein. Allein am Zechentor wird die
Mauer durchlässig und lässt auch zufällige Passanten den repräsentativen
Eingangsbereich sehen, der von dem 55 m hohen Förderturm dominiert wird. Auf
den Anlagen 1/2/8 und 3/7/10 hingegen ist die Sicht hinter dem Werkstor
verbaut. Was ein Außenstehender dort sieht, ist eher verwirrend und vermittelt
längst nicht eine so klare Aussage wie der bewusst gesteuerte Blick auf Schacht
12. 1945 1945
lag das Ruhrgebiet in Schutt und Asche. Die Zechen überstanden den Bombenhagel
jedoch weitestgehend unbeschadet. Dennoch bedeutete das nicht, dass die Produktion
sofort wieder hätte aufgenommen werden können. Die nationalsozialistische
Kriegswirtschaft hatte den Bergbau zwar zu Höchstleistungen angetrieben, aber
die notwendigen Instandhaltungs- und Mechanisierungsmaßnahmen waren
unterblieben. Es spricht für das auf Zollverein verwirklichte Konzept, dass es
dort trotz des jahrelangen Raubbaus gelang, 1945 fast 869000 t Kohle zutage zu
bringen. Damit war Zollverein zum letzten Mal die förderstärkste Zeche im
Ruhrgebiet. Nach
Kriegsende wurde die Wirtschaft im Ruhrgebiet auf Betreiben der Alliierten umstrukturiert.
Die großen Montankonzerne wurden zerschlagen, „entflochten“ und in kleinere
Unternehmen aufgeteilt. Das galt auch für die Vereinigten Stahlwerke. Zollverein
gehörte nun der neu entstandenen Rheinelbe Bergbau AG. Dennoch
wurde gerade der Bergbau unterstützt. Die Alliierten hatten ein großes Interesse
an den Kohlenlieferungen aus dem Ruhrgebiet. Daher zog das Revier, trotz Zerstörung
und schlechter Versorgungslage, schon wieder Menschen an. Der Bergbau gab
Arbeit und befreite aus Gefangenschaft. Wer sich zum Bergbau meldete, wurde aus
den Internierungslagern der Alliierten entlassen. Bergleute erhielten höhere Essensrationen
als die Arbeiter anderer Industriebetriebe. Das
Wirtschaftswunder der 1950er Jahre schließlich brachte das Ruhrgebiet zu neuer
Blüte. Allerdings hatte der Bergbau Nachwuchsprobleme. Die Belegschaften waren
überaltert: 1946 waren rund 53% der Bergarbeiter über 40 Jahre alt. Da die
Arbeit unter Tage einen schlechten Ruf hatte, wünschten sich viele Eltern einen
besseren Beruf für ihre Söhne. Die Zechen starteten großangelegte Programme und
schickten ihre Werber in alle Gegenden Deutschlands. Auf diese Weise kamen
zahlreiche Jugendliche ins Revier, die zu Hause keine Lehrstelle fanden. 1959
war der Boom vorbei. Erdöl machte der Kohle zunehmend Konkurrenz. Die Zeit des
großen Zechensterbens begann. Auf Zollverein wurde trotzdem modernisiert. Unter
Tage wurden nun Kohlenhobel eingesetzt, wodurch der Abbau billiger wird – zu
Lasten der Bergleute, deren Arbeitsplätze dadurch verloren gingen. Außerdem
führte man dort die Gefäßförderung ein: Der Förderkorb, der die mit Kohle
beladenen Wagen zu Tage brachte, wird durch ein Gefäß ersetzt. Statt 12 t
konnten so jedes Mal 18 t Kohle gehoben werden. Man
wagte sogar den Bau einer neuen Anlage: ab 1959 entstand in unmittelbarer
Nachbarschaft zu Schacht 12 eine Kokerei an der Straße Arendahls Wiese, auf
einer der letzten landwirtschaftlich genutzten Flächen Katernbergs. 1961 Der
Weg von Schacht 12 zur Kokerei ist einfach zu finden, denn die beiden Betriebe
sind durch Bandbrücken miteinander verbunden. Wenn man ihnen folgt, gelangt man
automatisch zur Kohlenmischanlage, die das östliche Ende des Kokereigeländes dominiert.
Das ist zwar nicht der historisch richtige Eingang der Kokerei, aber dafür stehen
wir direkt vor dem Herzstück der Anlage, den Koksofenbatterien. Heute liegt der
Koloss Kokerei ganz still vor uns. Unvorstellbar, dass hier vor nicht einmal
zehn Jahren der Betrieb rund um die Uhr „brummte“. Koks
wird aus Steinkohle hergestellt, die unter Luftabschluss in Öfen auf
Temperaturen um 1100°C erhitzt wird. Dabei entgast die Kohle, und zurück bleibt
nahezu reiner Kohlenstoff. Koks wird seit Beginn 18. Jahrhunderts als
Reduktionsmittel bei der Roheisenerzeugung eingesetzt. Seit der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts werden auch die im Gas enthaltenen Stoffe Teer, Ammoniak
und Benzol gewonnen und in der chemischen Industrie weiterverarbeitet. Das
gereinigte Gas schließlich wird an Haushalte und Hüttenwerke geliefert. Etwas
fällt sofort auf: Obwohl die Kokerei knapp 30 Jahre jünger ist als Schacht 12,
bilden beide Anlagen eine architektonische Einheit. Tatsächlich war auch hier
Fritz Schupp am Werk. Es gelang ihm, sein auf der Zeche begonnenes
Architekturkonzept auf der Kokerei fortzuführen, „so dass nunmehr Kokerei und Zeche
Zollverein bei enger räumlicher Verbindung ein einheitliches und harmonisches
Bild bieten“[3], wie in der
Denkschrift anlässlich der Inbetriebnahme der Kokerei stolz vermerkt wird. Wie
auf Schacht 12 schuf Schupp auf der Kokerei gemeinsam mit den Ingenieuren der
Koksofenbaufirma Still eine Anlage der Superlative, klar strukturiert und
funktional durchdacht. Das Gelände wird durch die Mittelachse der sechs hohen
Kamine in zwei produktionstechnisch relevante Bereiche geteilt. Nördlich davon
liegen die Koksofenbatterien, Schwarze Seite genannt – weil Kohle und Koks
schwarz sind. Südlich befindet sich das verwirrende Rohrgewirr der Weißen
Seite, auf der die Nebenprodukte der Verkokung gewonnen wurden. Die Ausmaße
sind imponierend. Über eine Länge von 600 m erstrecken sich die Öfen, 304 an
der Zahl. Die Ofenkammern sind 6 m hoch; höhere Öfen gab es nicht zu jener
Zeit. Zollverein war eine der größten und modernsten Kokereien der Welt.
Zunächst wurden hier 5000 t, später 8000 t Koks täglich produziert. Im
aufstrebenden Ruhrgebiet des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts war Koks so
wichtig, dass auf jeder Zollverein-Anlage mit Ausnahme von 6/9 Kokereien gebaut
wurden. Die erste ging bereits 1857 auf 1/2 in Betrieb. In drei Meileröfen ließ
Franz Haniel dort Koks für sein Oberhausener Hüttenwerk produzieren. Bereits
zehn Jahre später waren die noch recht primitiven Meileröfen ersetzt worden
durch 30 Kammeröfen, die auch heute noch übliche Bauweise. Darin konnte ein
höheres Koksausbringen erzielt werden. Genau
wie bei den Zechen ging bei den Kokereien in den 1920er Jahren die Entwicklung
in Richtung Zentralanlagen. 1928 und 1930 wurden die Kokereien der
Schachtanlagen 4/5 und 3/7/10 stillgelegt. Die Vereinigten Stahlwerke ließen
stattdessen eine große Kokerei auf ihrer Schachtanlage Nordstern in
Gelsenkirchen bauen. Auf Zollverein blieb nur noch die Kokerei auf 1/2/8 in
Betrieb. Sie lief mit einer kleinen Unterbrechung bis 1953. 1961 schließlich
konnte der Neubau in Betrieb gehen, die letzte der Zollverein-Kokereien. Die
Koksproduktion war besonders in ihren Anfangszeiten stark umweltbelastend.
Staub und Rauch entwichen unaufhörlich und trugen zur nachhaltigen Zerstörung
der Umwelt bei. Landwirtschaft und Obstanbau waren in der Nähe von Kokereien
und Zechen nicht möglich. Die Klagen der Bauern, die so um ihr Einkommen
gebracht wurden, wurden allerdings oft zurückgewiesen mit dem Hinweis, dass die
Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden eben dem „typischen Charakter einer
Industriegegend“[4] entspräche.
Die Macht der Industrieherren war groß, und rauchende Schornsteine bedeuteten
eben auch eine florierende Wirtschaft. Der
Umweltschutzgedanke ist ganz klar eine Idee der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Mit der Entwicklung der Technik und der wachsenden Sensibilisierung für das
Thema Umwelt wurden die Industriebetriebe zunehmend gesetzlich verpflichtet,
den Schadstoffausstoß gering zu halten. Auf der Kokerei Zollverein baute man
aus diesem Grund bei der Erweiterung der Anlage 1972/73 eine Löschgleishalle
ein, die die beim Ausdrücken der Öfen entweichenden Stäube auffangen sollte,
bevor sie sich in der Umgebung wieder absetzten. Für die Anwohner war dies ein
Fortschritt, denn die Luft wurde spürbar sauberer. Die Belastungen für die
Kokereiarbeiter, die in dieser Halle arbeiten mussten, hingegen stiegen. In der
Halle wurde es sehr heiß und die Staubkonzentration war dort hoch. Nicht von
ungefähr kam der Name „Löschgleishölle“ für diese Halle. 1986/1993 Ein vorläufiges Ende Die
Kokerei war die letzte Großinvestition, die auf Zollverein getätigt wurde. Die
folgenden Jahre waren geprägt vom langsamen Niedergang der Montanindustrie, vom
Zusammenrücken und Zusammenlegen. Der Abbau der Kohle, vor allem der tief liegenden
deutschen Kohle, rentierte sich nicht mehr. 1968 wurde deshalb die Ruhrkohle AG
gegründet, die als Einheitsgesellschaft die meisten Ruhrzechen übernahm und diese
im Rahmen der allgemeinen Wirtschafts- und Energiepolitik wettbewerbsfähig machen
sollte. 1974
legte man Zollverein mit der Zeche Holland in Wattenscheid zusammen. Der
Tagesbetrieb von Holland wurde stillgelegt und die Kohle untertage nach
Zollverein gebracht: wie ausgehöhlt das Ruhrgebiet untertage ist! 1983 folgte
der Verbund mit der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen-Horst. Auch wenn dank der
Sozialpläne bei den Zusammenlegungen niemand arbeitslos wurde, so bedeutete das
dennoch den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze. Außerdem mussten die Bergleute
mobiler werden. Sie wohnten nicht mehr in unmittelbarer Umgebung der Zeche,
sondern wurden auf entferntere Anlagen verlegt. 1986
war es auch auf Zollverein so weit. Die abbauwürdigen Flöze waren erschöpft.
Was dann noch in der Erde lagerte, ließ sich nicht mehr rentabel herausholen.
Zollverein wurde stillgelegt. Eine
Zechenschließung ist ein Drama. Die Angst um den Arbeitsplatz spielt dabei eine
große Rolle. Wochenlang mahnte vor der Stilllegung ein Schild am Bahnübergang
der Zechenbahn über die Gelsenkirchener Straße: „In Essen leben 4000 Familien
von der Kohle!“ Nicht zu vergessen ist aber auch die Verbundenheit der
Bergleute mit ihrem Werk. Bei einer fast 140jährigen Betriebszeit haben mehrere
Generationen einer Familie auf Zollverein gearbeitet. Am Tag der Stilllegung
wehte Trauerflor am Werkstor. Die letzte Zeche der Stadt Essen schließt am 23.
Dezember 1986. Den
zweifelhaften Ruf, die letzte zu sein, hat auch die Kokerei Zollverein inne.
Mit ihrer Stilllegung 1993 ging die Montanära der einst größten Bergbaustadt
des Ruhrgebiets unwiderruflich zu Ende. Die Kokerei fiel der Stahlkrise Anfang
der 1990er Jahre zum Opfer. Anders als auf der Zeche gab es hier jedoch keine
großen Trauerfeiern. Zu plötzlich kam die Schließung, zu betäubend war der
Schock, wähnte man sich auf der Kokerei doch halbwegs krisensicher. Immerhin
waren dort in jüngster Zeit noch größere Investitionen in den Umweltschutz
getätigt worden. Dazu kam, dass während der nur 32 Jahre dauernden Betriebszeit
sich keine „Familiendynastien“ herausbilden konnten, dass in der Zeit des
Niedergangs ständig neue Arbeiter dorthin verlegt wurden, die Fluktuation in
der Belegschaft also recht hoch war. Dennoch ist der Betroffenheit über die
Stilllegung Ausdruck verliehen worden, weniger öffentlichkeitswirksam als auf
der Zeche und viel individueller. Im Erdgeschoss der Mischanlage sind diese
Zeugnisse ausgestellt worden: eine Spindtür mit einem Kreuz, eine
selbstverfasste Todesanzeige und ein Kalender, der 30. Juni eingekringelt, mit
dem Vermerk „Ende“. 2001. Weltkulturerbe Und
heute? Zu Ende ist allenfalls die bergbauliche Nutzung der Zollverein-Gelände.
Und selbst das ist nicht ganz richtig, denn Schacht 1 und Schacht 12 dienen der
Zentralen Wasserhaltung. Manchmal drehen sich die Seilscheiben also noch. Auch
sonst hat man nicht den Eindruck, als sei auf Zollverein etwas sich selbst
überlassen worden. Im Gegenteil, überall regt sich etwas. Auf Zollverein kann
man Essen gehen, Ausstellungen besichtigen, Künstlern bei ihrer Arbeit zusehen,
Konzerte hören, im Winter Eislaufen oder einfach nur spazieren gehen. Langsam
erholt sich auch die Natur vom jahrzehntelangen Raubbau und erobert sich ihr
Terrain zurück. Wenn wir heute auf den alten Gleisanlagen oder auf den Koksöfen
stehen, dann ist nicht zu übersehen, dass in jeder Mauerritze, auf jedem
Fleckchen Erde Pflanzen grünen und wachsen. Zeche und Kokerei sind ein Refugium
geworden für Tiere und Pflanzen, die wir in unseren Großstädten nicht mehr
vermutet hätten. Falken nisten in den Kohlentürmen, auf den Gleisen wächst
Sommerflieder. Hier sagen sich Fuchs und Hase im wahrsten Sinne des Wortes gute
Nacht. Natürlich wird sich hier die vorindustrielle Natur nie mehr zurückbilden
können. Dafür waren die Eingriffe in die Landschaft einfach zu groß. Dafür
wachsen heute Pflanzen, die mit den extremen Standortbedingungen wie den
verschmutzten Böden umgehen können und die zum Teil aus weit entfernten
Gegenden stammen, angekommen mit Kohlenlieferungen. Es etabliert sich eine
Industrienatur. Der
Weg dorthin war freilich lang. Als die Zeche Zollverein 1986 stillgelegt wurde,
hätte die Ruhrkohle AG nichts lieber getan als sämtliche Gebäude abzureißen.
Auch die Stadt Essen war nicht gerade innovativ mit ihren Vorschlägen für eine
Nachnutzung des Zollverein-Areals. Sie plädierte ebenfalls auf Abriss, um dort
Gewerbe anzusiedeln und auf diese Weise den Arbeitsplatzverlust abzufangen. Es
ist den Denkmalpflegern zu verdanken, dass in Essen heute ein Weltkulturerbe
steht, denn sie gaben den Anstoß, überhaupt über eine Unterschutzstellung
nachzudenken. Bereits 1978, also zu einem Zeitpunkt, als Politik und
öffentliche Meinung noch weit davon entfernt waren, Schwerindustrie denkmalwert
zu finden, machte der Landeskonservator des Rheinlandes, Günther Borchers, auf
den Wert und die Bedeutung von Schacht 12 aufmerksam. In den folgenden Jahren
wurde eine Liste der erhaltenswerten Bergbaurelikte in Essen angefertigt, 1984
erstmals eine Unterschutzstellung der Schächte 6/9 und 12 beantragt. Damit war
zwar ein Anfang zum Umdenken gemacht, ein erfolgreiches Ende aber noch lange
nicht in Sicht. Es spricht für sich, dass der Zollverein-Komplex als Gesamtheit
erst im Juni 2000 endgültig unter Denkmalschutz gestellt wurde. Bis dahin ist
aber einiges schon unwiederbringlich zerstört worden wie z.B. Schacht 6/9. An
diesem schließlich positiven Ergebnis sind zahlreiche Personen und
Institutionen beteiligt gewesen. Die Entscheidung, einen Koloss wie Zollverein
zum Denkmal zu machen, zieht weitreichende Verpflichtungen nach sich, von denen
die Erhaltung die wichtigste und zugleich schwierigste ist. Im Jahr nach der
Stilllegung wurde deshalb eine Kommission gegründet, die ein Konzept erstellen
sollte, wie der Erhalt zu bewerkstelligen sei. Sie schätzte die Kosten für die
Instandsetzung allein von Schacht 12 wurden auf 140 Mio. DM! Vor Summen dieser
Größenordnung schreckt selbst der motivierteste Denkmalschützer erst einmal
zurück. Organisiert und finanziert wurde diese Kommission, in der Vertreter von
Wirtschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft zusammen saßen, von der
Landesentwicklungsgesellschaft NRW. Das Ergebnis war zum einen das etwas
sperrig klingende Ziel, Zollverein zu einem „Forum für die Kultur des 21.
Jahrhunderts“ zu machen, zum anderen aber die Gründung der Bauhütte Zollverein,
die für rund zehn Jahre für Erhalt und Nachnutzung erfolgreich zuständig war.
Ihr ist nicht nur der Umbau der Industriehallen in Büros und Ausstellungshallen
zu verdanken, sondern auch die Ansiedlung solch hochkarätiger Einrichtungen wie
dem DesignZentrum NRW. Es befindet sich heute im ehemaligen Kesselhaus, für
dessen Umbau der Architekt Sir Norman Foster gewonnen werden konnte. Außerdem
richtete die Bauhütte mit der tatkräftigen Unterstützung ehemaliger
Zollvereiner, die sich in der Geschichtswerkstatt Zollverein zusammengetan
haben, einen Museumspfad ein. Ein
Glück für das Denkmal Zollverein war die 1989 mit Karl Ganser ins Leben gerufene
Internationale Bauausstellung Emscher Park (IBA). Seine Idee, den
Strukturwandel mit und nicht gegen alte Industrieanlagen zu probieren und das
industrielle Erbe als Chance und Identifikationspunkt zu begreifen, hat letzten
Endes nicht nur Zollverein ein neues Leben beschert. Selbst im Nachhinein kann
man die Vorschläge, die in der visionären Aufbruchsstimmung der IBA gemacht
wurden, nur als kühn bezeichnen. Zunächst
einmal wurde der Denkmalgedanke, der sich bislang auf die Schächte 3/7/10 und 12
beschränkte, ausgeweitet. 1993 stufte man in einem Gutachten erstmals die
Zollvereinanlagen 1/2/8, 3/7/10 und 12 sowie die Kokerei als denkmalwert ein.
Das war gewagt. Kokereien sind nicht gerade als umweltfreundlich bekannt. Hätte
man die kontaminierten Flächen nicht lieber sanieren sollen? Und noch eine
andere Frage drängte sich auf. Wie um alles in der Welt nutzt man eine
Koksofenbatterie nach? Außerdem hatte die Eigentümerin der Kokerei, die
Ruhrkohle AG, ganz andere Pläne. Sie wollte die Anlage nach China verkaufen.
Als das Geschäft in letzter Minute platzte, drohte der Abriss. Dann
entstand die Idee, die Aufnahme des Zollverein-Komplexes ins Weltkulturerbe der
UNESCO zu beantragen. Das Antragsverfahren zog sich über fünf Jahre hin. Zwischenzeitlich
blieb man auf Zollverein aber nicht untätig. Die 1998 gegründete Stiftung
Zollverein übernahm die Arbeit der kurz darauf aufgelösten Bauhütte Zollverein.
Sie koordiniert seitdem die zahlreichen Aktivitäten auf Schacht 12 und führt
auch die kulturelle und historische Arbeit fort. Die von der Bauhütte
initiierten Zollverein Konzerte zum Beispiel sind inzwischen eine fest
etablierte Größe in der Essener Kulturwelt. Gleichzeitig
ging die Kokerei Zollverein in die Obhut der 1995 gegründeten nordrhein-westfälischen
Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur über. Damit war der Erhalt
zumindest der Schwarzen Seite der Anlage endgültig gesichert. 1999 konnte dort
mit der vielbeachteten Ausstellung „Sonne, Mond und Sterne“ eine der
IBA-Abschlusspräsentationen vorgestellt werden. Inzwischen entwickelt die
Stiftung Industriedenkmalpflege die Kokerei zu einem Standort für
zeitgenössische Kunst und hat als Dauerausstellung den „Palast der Projekte“
des russischen Künstlerpaares Ilya und Emilia Kabakov in das ehemalige
Salzlager geholt. Im
Mai 2001 gründete die Stadt Essen gemeinsam mit der Projekt Ruhr GmbH die
Entwicklungsgesellschaft Zollverein (EGZ), um einen Managementplan für die nachhaltige
Entwicklung Zollvereins zu erstellen. Die Realisierung eines solchen Plans gehört
mit zu den Verpflichtungen, die das Denkmal mit der Ernennung zum Weltkulturerbe
einging. Der fehlende Masterplan hatte 1999 zur Ablehnung Zollvereins bei der
UNESCO-Kommission geführt. Gemeinsam
mit dem niederländischen Stadtplaner Rem Koolhaas und seinem Architekturbüro
OMA in Rotterdam wurde ein „Masterplan“ entwickelt, der es sich zum Ziel
gemacht hat, das Denkmal einerseits zu schützen, andererseits aber fest in der
Stadt zu verankern. Ein Ruhrmuseum soll hier Platz finden und ein Kongresszentrum.
Außerdem soll der bereits bestehende Design-Standort ausgebaut werden und um
die Metaform, eine Weltausstellung des Designs, sowie um eine Design-Hochschule
erweitert werden. Zwar
sind diese Pläne noch Zukunftsmusik. Ein Ziel ist aber bereits erreicht: Im Dezember
2001 ist die Industrielle Kulturlandschaft Zollverein, d.h. alle noch bestehenden
Schachtanlagen, die Kokerei sowie die „Pufferzonen“, also die Stadtteile Katernberg,
Schonnebeck und Stoppenberg, in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen
worden. Im
Nachhinein scheint es, als haben sich die Ereignisse auf Zollverein seit der
Stilllegung überschlagen. Tatsächlich aber war es ein mühsamer Weg, gepflastert
mit Widerständen, Phantasielosigkeit und zähen Verhandlungen. Heute ist
Zollverein ein Paradebeispiel für die Nachnutzung eines ehemaligen
Industriestandorts, ein lebendiges Denkmal, das international Beachtung findet
– die Kennzeichen der Besucherautos verraten es. Gleichzeitig ist es aber auch
im Stadtteil verankert, hat die Bodenhaftung (noch) nicht verloren. Die
Katernberger besuchen ihr Zollverein und führen es stolz Besuchern vor. Kaum zu
glauben, dass der alte Arbeitsplatz plötzlich ein Denkmal sein soll. Manch
einer kommt täglich, mit dem Hund, mit dem Fahrrad und nutzt die Wanderwege
rund um die Fördertürme und Kamine. Übrigens
wurde die Straßenbahnhaltestelle am Haupteingang zu Schacht 12 vor einigen
Jahren von „Drostenbusch“ in „Zollverein“ umbenannt. Es scheint, als mache
Zollverein wie vor 150 Jahren Katernberg zu etwas Neuem. Katernberg ist
Zollverein. Benutzte
Literatur Abelshauser,
Werner: Der Ruhrkohlenbergbau seit 1945, München 1984. Brüggemeier,
Franz-Josef; Rommelspacher, Thomas: Blauer Himmel über der Ruhr. Geschichte der
Umwelt im Ruhrgebiet 1840-1990, Essen 1992. Bundesberggesetz
mit amtlicher Begründung und anderen amtlichen Materialien, zusammengestellt
von Hans Zydek, Essen 1980. Buschmann,
Walter: Zechen und Kokereien im rheinischen Steinkohlenrevier. Aachener Revier
und westliches Ruhrgebiet, Berlin 1998. Buschmann,
Walter: Wie Zollverein ein Denkmal wurde, in: Forum Industriedenkmalpflege und
Geschichtskultur 1/2002, S. 31-36. Engelskirchen,
Lutz: Zeche Zollverein Schacht XII. Museumsführer, Essen 2000. Engling,
Michaela: Entwicklungsgesellschaft Zollverein mbH – EGZ, in: Forum Industriedenkmalpflege
und Geschichtskultur 1/2002, S. 61. Ganser,
Karl: Auf Zollverein, da schaut das Ruhrgebiet in den Spiegel, in: Forum Industriedenkmalpflege
und Geschichtskultur 1/2002, S. 24-29. GBAG:
Kokerei Zollverein, Essen, 1961. Geschichtswerkstatt
Zollverein (Hg.): Zeche Zollverein. Einblicke in die Geschichte eines großen
Bergwerks, Essen 1996. Großmann,
Joachim: Wanderungen durch Zollverein. Das Bergwerk und seine industrielle
Landschaft, Essen 1999. Huske,
Joachim: Die Steinkohlenzechen im Ruhrrevier. Daten und Fakten von den Anfängen
bis 1997, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage Bochum 1998. Kania,
Hans: Die Industrielle Kulturlandschaft der Zeche Zollverein, in: Forum Industriedenkmalpflege
und Geschichtskultur 1/2002, S. 16-22. Kuhnke,
Hans-Helmut: Die Ruhrkohle AG im Rahmen der Neuordnung des Steinkohlenbergbaus,
Sonderdruck aus dem Jahrbuch für Bergbau, Energie, Mineralöl und Chemie 1969,
Essen 1969. Ringbeck,
Birgitta: Der Weg zum Weltkulturerbetitel. Ein Erfahrungsbericht, in: Forum
Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur 1/2002, S. 13-15. Schlieper,
Andreas: 150 Jahre Ruhrgebiet. Ein Kapitel deutscher Wirtschaftsgeschichte,
Düsseldorf 1986. Schotte,
Erik; Parsa, Katy: Die Zukunft eines Weltkulturerbes, in : Forum Industriedenkmalpflege
und Geschichtskkultur 1/2002, S. 46-48. [1] Graf Alexander Stenbock-Fermor: Meine Erlebnisse als Bergmann, Bottrop 2000, nach der Ausgabe Stuttgart 1928, S. 40f. [2] Zitat entnommen aus Großmann, Joachim: Wanderungen durch Zollverein. Das Bergwerk und seine industrielle Landschaft, Essen 1999, S. 30. [3] GBAG: Kokerei Zollverein, Essen, 1961. [4] Zitat entnommen aus Brüggemeier, Franz-Josef; Rommelspacher, Thomas: Blauer Himmel über der Ruhr. Geschichte der Umwelt im Ruhrgebiet 1840-1990, Essen 1992, S. 169. |